Einige Gedanken zum Angriff auf die Ganze-Bäckerei

Wir wollen uns zu allererst mit denjenigen Menschen verbunden zeigen, die noch offen für die Debatte und Auseinandersetzung sind. Mit denjenigen, für die der Ausgang von Diskussionen nicht vorbestimmt ist. Für die, die Diskussionen und Argumente nicht von Beginn an in den Dienst der eigenen, starren und vorab gebildeten Weltanschauung stellen.

Das Casa ist ein über zehn Jahre altes Hausprojekt, welches in den letzten Jahren viel Veränderungen durchgemacht hat. Angefangen in einem Stadtteil, der damals so gar nicht schick und hipp war und in unmittelbarer Nähe zu dem Nazizentrum in der Odermannstraße, wurde das Casa und die dazugehörige Ganze-Bäckerei aufgebaut, saniert und entwickelte sich zum dem heutigen von nicht-Weißen bewohnten Hausprojekt. Das Casa und die Bäckerei waren aber – so unsere Wahrnehmung von außen – nie identisch miteinander. Die Bäckerei war der öffentlich genutzte Veranstaltungsraum im Erdgeschoss des Hausprojektes „Casa“. Menschen, die nicht im Projekt wohn(t)en, haben und hatten Zugang und die Reproduktion des Raumes wurde in einem öffentlichen Plenum ausdiskutiert und organisiert. Das Casa als Hausprojekt war nur ein Teil dieser Nutzer:innenstrukturen. Es gab die Brotbäcker:innen, Sporttreffen, Küfas, Erwerbslosen- und viele weitere Gruppentreffen. Die meisten der Gruppen von „früher“ treffen sich nicht mehr in der Bäckerei. Stattdessen bietet der Raum heute vor allem den „neuen“ autoritären und antisemitischen Gruppen FKO, Handala, YS, Zora und weiteren die Möglichkeiten für Treffen und öffentliche Veranstaltungen. Eine Auseinandersetzung mit diesen Gruppen findet in den letzten Jahren vermehrt statt. So wurden diese öffentlich kritisiert, aus verschiedenen Räumen ausgeschlossen und ihnen die Möglichkeit verwehrt, sich in antiautoritären Kreisen zu organisieren. Die sektenartig aufgebauten Gruppen verfolgen dabei ohnehin keinen Anschluss an die Szene, sondern planen den Aufbau einer eigenständigen kommunistischen Organisation/Partei und begreifen sich als Vorfeldorganisation dieser. Sie wollen kein Teil der Debatten innerhalb der antifaschistischen Bewegung in Leipzig sein – sofern sie nicht als ihre Kaderorganisationen auftreten können. Sie wollen also ihr ganz eigenes Süppchen kochen. So weit so gut.

Der Angriff mit Schweinefett auf ein von Nicht-weißen bewohntes Haus kann schwer anders als rassistisch gelesen werden. Die Polizei/Feuerwehr hat nach dem Angriff in der Nacht vom 23.10 auf den 24.10 die Tatmittel mitgenommen und wird sie auf Spuren prüfen. Auf einem im Internet aufgetauchten Bild ist ein Einmachglas mit einer bisher unbekannten Substanz zu erkennen. Es wird sich herausstellen ob es sich wirklich, wie bisher von der Feuerwehr angenommen, um Schweinefett handelt oder nicht. Wir appellieren an die Verfasser:innen des Bekenner:innenschreibens (siehe de.indymedia.org), Stellung zu der Substanz zu nehmen und sich für ihren Angriff mit Schweinefett zu rechtfertigen, insofern es sich um ein solches handelte.

…Leipzig

Dass die Auseinandersetzung um linken Antisemitismus gerade in Leipzig handfest eskaliert, überrascht nicht. Leipzigs Linke war lange geprägt von einer mehr oder weniger pro-israelischen Stimmung. Doch ob sich innerhalb der Linken zur bedingungslosen Solidarität mit Israel bekannt wurde und wird, oder aber der Befreiungskampf um Palästina Mittelpunkt der eigenen politischen Identität ist, hing schon in der Vergangenheit oftmals eher vom Zufall der eigenen politischen Sozialisation, als von einer theoretisch vermittelten Position ab. Der Diskurs wird eher bestimmt von den Orten an denen man aufwächst, als von einer umsichtigen und ernsthaft angegangenen Kritik der Gesellschaft. In der Vergangenheit öffentlich auftretende Gruppen wie die „Antifa Klein Paris“, die ums Ganze-Gruppe „the future is unwritten“ oder der „Antifaschistische Frauen Block“, traten offen für die Solidarität mit Israel ein. Des Weiteren gab es historisch in der Stadt eine recht breit aufgestellte antideutsche Szene, die sich nicht von der Linken verabschiedete, sondern weiterhin Teil von Debatten und Auseinandersetzungen war. Um diese Gruppen ist es allerdings in den letzten Jahren ruhig geworden. In den meisten Fällen lösten sie sich auf. Der durch die Coronamaßnahmen ausgelöste Lockdown und die dadurch ausgefallenden Events trugen einen Teil zum Abbruch der generationsübergreifenden Weitergabe von Wissen oder besser gesagt von „Einstellungen“ innerhalb der Linken bei. Auf Demos, Kundgebungen, Konzerten, Parties, Diskussionsveranstaltungen und Küfas lernte man sich kennen und hatte die Möglichkeit des Austauschs. So konnte im besten Fall eine Vermittlung von Wissen, aber wenigstens eine Weitergabe von lokalen Szenecodes und Einstellungen stattfinden. All dies entfiel zum großen Teil während der Zeit der Coronamaßnahmen. Innerhalb dieses Zeitraumes entstanden in Leipzig mehrere Gruppen, die sich klar gegen die Solidarität mit Israel stellen. Deren Hauptziel scheint es zu sein, den Kampf der PalästinenserInnen gegen Israel als Mittelpunkt der Auseinandersetzung zu forcieren.

Die Fokussierung auf den Konflikt ist dabei als antisemitische Denkfigur zu begreifen. Denn neben den vielen anderen Befreiungsbewegungen, den Kriegen auf der Welt und dem Fortbestehen kolonialer Ausbeutung an verschiedenen Orten, wird nicht exemplarisch, sondern explizit Israel oder aber deckungsgleiche Begriffe wie die „Israelische Besatzung“ oder der „Zionismus“ zum Mittelpunkt der eigenen Auseinandersetzung gemacht. Dies ist kein Zufall, sondern reiht sich ein, in eine antisemitische Denktradition. In diesem Denken wird, vereinfacht gesagt, den Juden alles Übel der Welt zugeschrieben.  Doch ist moderner Antisemitismus immer nur „das Gerücht über die Juden“ (Adorno). Das konkrete Handeln der israelischen Regierung wird sowohl als Grund als auch Vorwand des sich reproduzierenden Antisemitismus verstanden. Israel wird hierbei als idealer Gesamtjudenstaat gedacht und fällt dabei für die meisten Pro-Palästinagruppen auch damit in eins. Es steht für die Volksbefreiungs-Liebhaber für das Abstrakte um dessen Aufhellung und Kritik sich nicht bemüht wird. Das Kapitalverhältnis wird personifiziert und am Ende ist die Schuld des Übels dann doch wieder bei den Juden zu finden. Eine Kritik an Israel also, die schwerlich den Namen zu tragen verdient. Denn sie ist vor allem eins: gegen Israel als Staat der Juden.

Ein Versuch einer (psychoanalytischen) Annährung 

Das sich jedoch die verschiedenen Positionen zum Nahost-Konflikt in der Vergangenheit vor allem über Codes und Sozialisation vermittelten, anstatt durch Theorie und Aufklärung, ist nichts spezifisches für dieses Thema. Die meisten linken Dogmen und Einstellung sind überwiegend oberflächlicher Art und moralisch begründet. Unterdrückungsmechanismen werden auf der Grundlage von potenziellen Verletzungen von Menschen abgelehnt und man reflektiert sich selbstkritisch vorwiegend um nicht vor Ausschlüsse gestellt zu werden; weniger, um sich ernsthaft mit der Wirklichkeit zu beschäftigen. Das schlechte, „gute linke“ Gewissen scheint Hauptantrieb der eigenen politischen Arbeit zu sein. Dabei wird eine strenge Selbstdisziplinierung in den Dienst der linken Szene gestellt. Die kritische Auseinandersetzung mit den Bedingungen und Voraussetzungen für Herrschaft und der eigenen libidinösen Verstrickung mit der falschen Welt werden selten ergründet. Dies führt im Anschluss unter anderem dazu, dass die Reflexion darüber weiter verstellt bleibt. Man hat die Angst vor dem real möglichen Ausschluss aus der Linken, soweit introjiziert, dass er ein starker Motor der eigenen Handlungen ist. So lässt sich schwer über die Widersprüche nachdenken, die gesellschaftlich vorhanden sind. Leichter erscheint es dann, den innerlinken politischen Feind zu markieren und des Bösen zu überführen, mit Gewalt zu drohen oder sie so sogar anzuwenden. Sich selber also sicher zu fühlen innerhalb des eigenen Standpunktes in dem man den anderen das antut vor dem man sich selber fürchtet. Indem man eben dem innerlinken Gegenüber das antun möchte, was das im eigenen Inneren vorgeht. Gleichzeitig wird ein festes Gerüst an Abwehrmechanismen und starren Erklärungen errichtet. Es schützt die eigene politische Identität vor Kritik und lässt wenig Raum für das, was nicht einfach unvermittelt greifbar ist. Hierbei sucht sich das Individuum Halt an Autoritäten, welcheaber immer mit dem Schrecken der Gewalt und der Bestrafung – in diesem Falle des ‚linken Ausschlusses‘ – verknüpft sind.

Die verinnerlichte Autorität, das Gewissen oder Über-Ich sind Relikte aus der Kindheit. Die elterliche Autorität muss hierbei, in der realen Ohnmacht des Kindes, hingenommen werden. Der Hass, begründet in der eigenen Unfähigkeit sich der Autorität zu widersetzen, kehrt in der Verinnerlichung in das Über-Ich als Gewissen und Strenge gegen das Subjekt selbst zurück. Die Eltern/Bezugspersonen werden vom Kind geliebt, obwohl sie eine Art Agenten der gesellschaftlichen Zurichtung und somit ausführende Kraft der Vermittlung von Gewalt und Erziehung sind. Sie sind daneben aber eben auch die ersten mit Lust besetzten Objekte, Vorbild und geliebte Menschen. Die Moral und der Wille der Eltern sind somit beides – positiv und negativ besetzt. In einem ähnlichen Verhältniss kann man die Individuen zur Gesellschaft betrachten. Man steht ihr – der Gesellschaft – ohnmächtig, hilflos und erst einmal unwissend gegenüber. Sowohl die Gesellschaft, als auch selbstgewählte Institutionen oder Gruppen werden gefürchtet, bei gleichzeitiger positiver Identifikation mit ihnen. Auch die verschiedenen linken Gruppen sind eben ein Teil der Gesellschaft, vor der es sich zu fürchten gilt, wenn auch unter Linken der Anspruch besteht, es anders zu machen.

Teil einer linken Bewegung zu sein verspricht – so zu mindestens in der Selbstbeschreibung – in vielen Fällen einen Ausweg aus der gesellschaftlich bedingten Ohnmachtsstellung der Individuen. Sie ist somit auch als ein Angebot für die „vereinzelten-Einzelnen“ (H. Dahmer) zu verstehen, sich stärker und handlunsmächtig zu fühlen. Die reale Ohnmacht wird wieder einmal geleugnet und der Aktivismus wird als Beweis der eigenen Beweglichkeit gedeutet und soll Leid mindern. Wird dieses Verhältnis allerdings nicht reflektiert, ist es nur eine weitere Spielart des bürgerlichen Denkens, welches die Last auf den:die Einzelne:n legt. Diese können am Ende nämlich doch nicht – alleine unter und mit der Linken – ausbrechen aus der gesellschaftlichen Totalität und der mit ihr verbundenen Leidenserfahrungen. Am Ende wird Autonomie nicht verstanden als Sich-bewusst-werden der verschiedenen Abhängigkeiten. Sie erscheint dann nur als das dem Warenprinzip entsprechende Glücksversprechen, verbunden damit, sich nur genug anstrengen zu müssen. Die eigene Ohnmacht ist allerdings kein selbstverschuldeter Zustand, kein Problem des Individuums selber, sondern ein gesellschaftlich (re)produziertes. Die Menschen befinden sich real in einer misslichen Lage, sie müssen sich auf dem Arbeitsmarkt verdingen und sich vor Gewalt fürchten. Gleichzeitig tritt ihnen die Gesellschaft als ein Bollwerk gegenüber, das als zweite Natur nicht unmittelbar verstanden werden kann. Sie lässt sich dementsprechend nur ändern, als eine gesellschaftliche „Bewegung welche den jetzigen Zustand aufhebt“ (Marx). Sich einzureden, es wäre anders, spendet zwar Trost, hat aber nichts mit einer kritischen linken Perspektive zu tun.

Antisemitsmus

Die Bezugnahme auf den palästinensischen Befreiungskampf bedeutet in dieser Logik eben auch, sich gegen die vermeintliche Übermacht (antisemitisch gelesen als „die übermächtigen Juden“) und die im Nahen Osten faktische militärische Übermacht des Staates Israels zu stellen. Israel hier als Entsprechung der abstrakten Herrschaft und die konkreten Palästinenser:innen als Vorhut der linken Revolution. Man verbündet sich gegen die Macht, welche – anstelle in den gesellschaftlichen Verhältnissen gesucht – im faktischen Terror verwirklicht wird. In diesem Falle äußert sich das in antisemitischem Verhalten gegen Jüd:innen, Israel oder dem Zionismus. Der positive Bezug auf eine Terroroganisation wie der Hamas verspricht hier ein hohes Identitätsmoment linker Revolutionsromantik.

Ganz anderes, aber einer ähnlichen Entsprechung nach geschah bei einer Solikneipenaktion, die es in Leipzig gab. Hier sollte d Das eingenommende Geld sollte an die IDF gespendet werden. Auch hier soll geht es darum, dass ein Teil des Glanzes der Macht auf einen selber abfärbt. Als würden ein paar hundert Euro irgendwas für das israelische Militär bedeuten. Es ist hier auch nur der verzweifelte Versuch sich mit den Mächtigen zu identifizieren, sich abzugrenzen und eine einfache und harte – eben militärische – Antwort zu geben. Dies soll nicht bedeuten, dass die Verteidigung Israels mit militärischen Mitteln gegen die Hamsa nicht notwendig ist. Ganz im Gegenteil bleibt dem Staat der Überlebenden der Shoa keine andere Option übrig. Hiesigen Linken und der Debatte allerdings schon.

In der Vergangenheit wurden von Linken schon aus minderen Bewegunggründen als der ‚offene Antisemitismus‘ der Gruppe Handala Schaufenster eingeworfen. Diese anderen Beweggründe sollen hier allerdings nicht Teil der Kritik sein und waren eben im Gegensatz zu dem Angriff auf die Ganze-Bäckerei meistens kein Teil innerlinker Auseinandersetzungen. Das hier das Einwerfen von Scheiben gewählt wird, verdeutlicht eine gewisse Unfähigkeit Leipiger Linker sich einer Debatte zu stellen, die voller Widersprüche ist. Denn obwohl die Solidarität mit Israel und das Existenzrecht unangefochten bleiben sollten, ist damit noch recht wenig über die Wirklichkeit gesagt. Und es sind eben nicht alle Mittel dienlich für jeden Zweck. Es sollte nur notwendige Mittel für konkrete Situationen geben und diese Notwendigkeit sollte immer sorgfältig durchdacht sein und erklärt werden können. Wenn es das Ziel war, durch die kaputten Scheiben eine Auseinandersetzung zu provozieren, ist dies den Menschen allerdings gelungen, wie die verschiedenen Statement und Beiträge zeigen.

Wir fordern das Nutzer:innenplenum des Casa auf, sich klar gegen Handala, Zora, FKO und Young Struggle auszusprechen. Das von Handala auf ihrer Instagramseite gepostet Bild der Comicfigur Handalas mit einem Paragleiter kann nicht anders als eine offene Solidarisierung mit der Hamas verstanden werden. Denn es ist eine eindeutige Anspielung an die Hamasterroristen, welche hunderte Menschen auf dem Festival und in anderen Regionen Israels töteten und verschleppten. Die Statements der anderen bereits aufgezählten Gruppen sind zwar nicht ganz so offen brutal und barbarisch, aber stehen in ihrem Inhalt dem Post nur wenig nach.

Viele Leute, die heute die sektenhaften K-Gruppen kritisieren, waren ein Teil der ehemaligen Strukturen in und um das Casa – so auch Wir. Auch unsere Aufgabe ist es, das Projekt welches wir mit aufgebaut, saniert und mit Leben gefüllt haben, zu verteidigen. Allerdings stellt sich die Frage um welchen Preis und gegen wen?

Autonome, Antideutsche & Antiimps

Steine in Schaufenstern sind ein Umgang innerhalb der Linken, der so manche Leser:in an die Auseinandersetzungen der 2000er unter anderem in Magdeburg erinnern könnte. Eine Zeit, in der die Debatte um Israel und Antisemitismus innerhalb der Linken mehr als nur hitzig geführt wurde und bei der es auch zu Steinwürfen – in diesem Fall von Antiimps aus dem Umfeld von ZK – auf eine antideutsche Veranstaltung gab. Doch ging es in dieser Debatte nie nur allein um den Nahostkonflikt und auch selten um eine Kritik der Verhältnisse, welche die Shoa ermöglichten, mit dem Ziel, sie zu verstehen, um sie im besten Fall daraus resultierend verändern zu können. Es ging viel zu oft um eine Debatte um den „Schuldkomplex“ der Linken, wie es in Parolen auf so machen pro-palästinischen-Kundgebungen zu hören ist. Es ging um eine billige Psychologisierung gesellschaftlicher Konflikte oder allein um Moral oder Ethik oder um Antikolonialismus mit seinem blinden Flecken für Antisemitsmus. Es ging um positivistisches Denken und das Aufrechnen von Opfern, das Zählen von Waffen und Bomben – eben um das genaue Bescheid-wissen ohne etwas wirklich Neues zu sagen. Das vernünftige Denken stand auch schon damals wenig im Mittelpunkt. Doch verflachte die Debatte in den 2000er Jahren weiter und aus einer zu mindestens lebendigen Auseinandersetzung innerhalb der verschiedenen Abspaltungen der ehemaligen Autonomen (Postautonome, Antideutsche, Antinationale und Antiautoritäre), wurde ein Aufsagen von bekannten Argumenten. Die identitätsstiftenden Splitterbewegungen lernten alle fleißig ihre Argumentationen auswendig. Die Postmoderne lässt grüßen. Die Solidarität mit Israel oder Palästina hängt, wie gesagt, mehr von der linken Sozialisation ab, als von der kritischen Einsicht in die Welt.

In den vergangenen Jahren schienen alle froh darüber, dass es ruhiger wurde um das Thema. Doch dies zum Teil nur aus dem Grund, das andere gesellschaftliche Krisen aktueller wurden und sich immer häufiger ereigneten und ereignen. Die Antideutschen hörten auf zu polemisieren oder verabschiedeten sich nach eigenen Angaben ganz von der Linken und die Antiimps waren – zumindestens in Leipzig – still geworden. Das Existenzrecht Israels wurde in Leipzig selten offen in Frage gestellt, doch wurde auch oft genug einfach nur dazu geschwiegen. Die Frage blieb weitestgehend außen vor. Doch änderte sich die Szenenlandschaft in Leipzig in den letzten Jahren langsam aber spürbar. Der „Genarationenwechsel“ bedingt durch Corona und die damit zusammenhängenden Maßnahmen und andere gesellschaftliche Krisen, so scheint es uns, führten zu einem Riss in der pro-israelischen Positionierung in der Szene, aber auch zu einer Hinwendung zu autoritären Krisenantworten innerhalb der Linken. Vermehrt traten in Leipzig wieder lenistische, maoistische und stalinistische Gruppen auf den Plan, die, so scheint es, sich zur Hauptaufgabe gemacht haben, den zugunsten von Israel ausfallenden Kompromiss zu Fall zu bringen. Die ‚Rote Wende‘ als einer der „älteren“ neuen Antiimp-Gruppen mit positivem Bezug auf Lenin, wusste von Anfang an, dass sie sich bei diesem Thema zurückhalten sollten und trat nicht offen antisemitisch auf. Die im Bekenner:innenschreiben und im begrüßenswerten Text der fantifa benannten Gruppen (KO, KA, KJ, FKO, YS und Zora) traten schon weit vor dem Angriff der Hamas auf Israel antisemitisch auf.

Die Wütenden

Wir denken, der Angriff auf das öffentliche Ladenprojekt „die Ganze-Bäckerei“ richtete sich nicht gegen die Wohnräume des Casas. Da wir die Steine aber nicht geworfen haben, können wir das natürlich nicht mit Sicherheit beurteilen. Doch gilt es festzuhalten, dass keine Scheiben der bewohnten Zimmer zerstört worden sind, sondern „lediglich“ zwei Scheiben der öffentlichen Räume im Erdgeschoss. Mag dieser Umstand wenig tröstlich sein für diejenigen, die sich nun in ihrem Zuhause (noch) unsicherer fühlen, noch die Aktion im Ganzen rechtfertigen. Des Weiteren wollen wir, so kritikwürdig wir die zersplitterten Scheiben auch finden, deutlich sagen, dass es ein Unterschied macht, ob Nazis das Haus angreifen und vor allem zum Ziel haben die rassifizierten Bewohner:innen zu terrorisieren, vertreiben oder zu verletzen, oder ob es Linke waren, die das Denken zurückgestellt haben und mit dieser Aktion antisemitischen Gruppen den Raum nehmen wollten. Hier sei nur kurz angemerkt, dass in den letzten Wochen auch ein pro-israelisches Wohnprojekt in Leipzig mit Gegenständen beworfen worden ist.

Adorno schrieb einmal „Wer denkt, ist in aller Kritik nicht wütend: Denken hat die Wut sublimiert“. Dieser kurze Satz soll keineswegs sagen, das Menschen nicht mehr wütend sind oder sein sollten. Er bedeutet auch nicht, dass Wut nicht durchaus ein erster Impulsgeber für politisches Handeln sein kann. Aber gewiss steckt in diesem Satz die Bedeutung, dass Vernunft eben keine Gefühlsangelegenheit ist; dass die Reflexion der eigenen Wut die Voraussetzung für Kritik ist. Es bedeutet, einen Versuch die Wirklichkeit zu verstehen und somit die Bedingungen für das schlechte Leben der Menschheit aufzuklären und dies mit dem Ziel sie zu ändern. Das Nutzen von Emotionen hingegen für die Politisierung gesellschaftlicher Konflikte ist eine ureigene Strategie rechter Bewegungen und Agitatoren. Noch weiter sogar gehört die Emotionalisierung politischer Konflikte fest zur Ideologie faschistischer Bewegungen. Sie knüpfen dabei an die archaischen Gefühle der Individuen an, sich der Masse zu ergeben, als auch an die verinnerlichte Autorität und den Wunsch nach Größe und Stärke. Die Linke sollte sich hüten, Gefühle als Ausgangspunkt von Politik zu setzen, wenn sie eine wirklich andere Welt als Ziel noch nicht aufgegeben hat. Doch leider lässt sich genau das Gegenteil seit Jahren beobachten. Seien es die Demos, auf die wir „wütend kommen sollen“, die Idetitätsdebatten, die mehr auf Gefühle als auf Herrschaftverstrickungen verweisen, oder eben die linken Antisemit:innen, die mit der Emotionalisierung des Israel-Palästina-Konflikts als scheinbare Auffangbecken für teilweise faschistische IslamistInnen auftreten wollen. Die Steine auf die Ganze-Bäckerei und die darauf folgenden kurzschlussartigen Solidaritätsbekundungen mit den Bewohner:innen des Casa sind ebenfalls in dieser Reihe aufzuzählen. Anstatt über die Umstände zu diskutieren, warum Menschen Steine auf ein linkes Hausprojekt schmeißen, wird sich abgegrenzt und das vor allem emotional – denn von Inhalt kann in diesen kurzen Schreiben keine Rede sein. Steine zu schmeißen und ein kurzes Statement abzugeben trägt jedenfalls wenig Erhellendes zu der Debatte bei.

Für die Kritik der Linken durch die Linke! Denn die Linke ist die einzige Kraft gegen die Barbarei, so wenig sie auch immer wieder darauf hindeuten mag!


„Wer denkt, ist in aller Kritik nicht wütend: Denken hat die Wut sublimiert. Weil der Denkende es sich nicht antun muß, will er es auch den anderen nicht antun. Das Glück, das im Auge des Denkenden aufgeht, ist das Glück der Menschheit. Die universale Unterdrückungstendenz geht gegen den Gedanken als solchen. 
Glück ist er, noch wo er das Unglück bestimmt: indem er es ausspricht. Damit allein reicht Glück ins universale Unglück hinein. Wer es sich nicht verkümmern läßt, der hat nicht resigniert.“ (Adorno)